Ein satirisches, augenzwinkerndes Gebet
Herr im Himmel, vor sechs Monaten hatten wir wieder vergessen, wie schön wir es zu Hause haben. Wir dachten, auf Reisen gehen zu müssen, und nun sind wir hier, fern der Heimat und ausgeliefert allem Fremden. Und mein Gott, hier ist viel fremd.
Himmlischer Vater, sieh herab auf uns, Deine bescheidenen, gehorsamen Touristendiener, die dazu verdammt sind, diese Erde zu bereisen, sinnfrei vor sich hin zu fotografieren, Postkarten mit vor Ewigkeiten abgelaufenem Haltbarkeitsdatum abzuschicken, völlig jenseitige Souvenirs zu kaufen und in schnell waschbarer Unterwäsche herumzulaufen.
Wir bitten dich, oh Herr, achtzugeben, dass wir das richtige Flugzeug besteigen, dass unser Gepäck nicht verloren geht und dessen Übergewicht unbemerkt bleibt. Beschütze uns vor habgierigen und skrupellosen Taxifahrern, die die Radiofrequenz statt dem Taxameter-Preis verrechnen.
Schenke uns Busfahrer, die ausgeschlafen, adrett gekleidet, reaktionsschnell und stets gut gelaunt sind. Lass sie ein GPS-System des 21. Jahrhunderts haben und wissen, wie man es bedient. Gewähre uns Reiseleiter, die Hydranten von gotischen Portalen unterscheiden können, die den Eindruck erwecken, stets zuhören zu wollen und die Landkarten nicht verkehrt herum halten.
Gib uns heute göttliche Führung in der Suche nach unseren Hotels, auf dass unsere vorbestellten Zimmer frei und sauber sind und wenn irgendwie möglich, dass es heißes Wasser gibt. Wir beten, dass die Rezeptionistin unsere Sprache spricht und dass wir die bösartigen Tricks moderner Elektronik beim Öffnen der Zimmertüre begreifen.
Nach jenen ewigen Nächten ohne Nahrung lass uns des Morgens Buffets vorfinden wie aus dem Schlaraffenland und Gelegenheiten, kulinarische Notgroschen mitgehen zu lassen.
Gib uns die Weisheit, korrekte Trinkgelder zu geben in Währungen, die wir nicht verstehen. Verzeih uns, wenn wir aus Unwissenheit zu wenig geben oder zuviel aus Furcht. Lass die Eingeborenen uns lieben für das was wir sind, und nicht für das, was wir ihren weltlichen Gütern hinzufügen können.
Gib uns die Kraft Museen, Kathedralen und Schlösser zu besuchen, die als ein Muss gelten. Und wenn wir einmal ein historisches Denkmal verpassen um ein Mittagsschläfchen zu halten, hab’ Gnade, denn unser Fleisch ist schwach.
Führe uns, oh Gott, in gute und billige Restaurants, wo die Kellner freundlich sind, das Essen vorzüglich ist, und der Wein im Preis inbegriffen. Lass die Toiletten zahlreich, frei und makellos sein, und die Klofrau gerade beim Testen.
Lieber Gott, halte unsere Frauen fern vom Einkaufen und behüte sie vor günstigen Gelegenheiten, die sie weder brauchen noch sich leisten können. Führe sie nicht in Versuchung, denn sie wissen nicht was sie tun.
Allmächtiger Vater, bewahre unsere Männer davor, fremden Frauen nachzustarren. Beschütze sie davor, sich in Cafés und Nachtbars zum Affen zu machen. Vor allem aber, vergib’ ihnen nicht Ihre Schuld, denn sie wissen genau was sie tun.
Und wenn unsere Reise zu Ende geht und wir zu unseren Lieben zurückkehren, gib uns die Gunst, jemanden zu finden, der sich unsere Fotos und Filme ansieht und unseren Erzählungen lauscht, so dass unser Leben als Tourist nicht umsonst gewesen ist.
© Art Buchwald, ausführlich überarbeitet und der Neuzeit angepasst von Alexander Kriegelstein